Lia lernt Spanisch. Schon wieder.
Hallo zusammen & Welcome back!
Wie versprochen erzähle ich euch heute ein bisschen was über meinen Alltag in La Mariposa. Was als Erstes auffällt ist, dass alles immer ein bisschen klamm ist. Seitdem der Regen angefangen hat sowieso, aber auch vorher schon. Die Luft, die Klamotten – sogar die Blätter in meinem Notitzbuch sind klamm. Willkommen zur Regenzeit in den Tropen! Ich hatte mir vorher Klimatabellen von Nicaragua angeschaut und gesehen, dass die gute Reisezeit erst im November/Dezember anfängt, aber wie schon in Blogeintrag 2 erwähnt: Etwas zu lesen und etwas zu erleben sind zwei völlig unterschiedliche Dinge.
Meine Tage hier starten früh. Das war zunächst dem Jetlag geschuldet, mittlerweile hat sich der Rhythmus aber so eingependelt und gefällt mir ganz gut. Zum Jetlag sei gesagt, dass es das erst Mal ist, dass ich mit diesem Monster zu kämpfen habe. Bei Reisen bisher hat sich das immer sehr in Grenzen gehalten, dieses Mal habe ich die volle Ladung abbekommen und habe erst am 3./4. Tag das Gefühl gehabt, dass mich das nicht mehr einschränkt. Den Alltag mit Jetlag zu überstehen ist super anstrengend. Es ist nicht nur diese lähmende Müdigkeit, die jeden Gedanken bestimmt, sondern vielmehr das Gefühl dass nur ein kleiner Teil wirklich bewusst/wach da ist und der Rest des Bewusstseins so ein bisschen im Nebel schwebt. Man bekommt nur die Dinge mit, die direkt vor der Nase passieren, alles andere ist sehr vage und anstrengend.
Zurück zum Tagesablauf! Um sechs Uhr klingelt der Wecker, ich starte mit den 5 Tibetern, einer Dusche und der Frage ob ich heute kurze Hosen oder dicke Socken anziehen sollte – meistens brauche ich beides irgendwann im Laufe des Tages. Vor dem Frühstück um 7:30 lese ich ein bisschen, oder schreibe Blog. Zum Frühstück gibt es Früchte. Unglaublich leckere Früchte. Wer möchte, kann sich dazu noch etwas Granola mit Nüssen nehmen & aus der Küche gibt es dann pro Person noch ein warmes „Etwas“. Am ersten Tag war das so etwas wie Crepes, am Zweiten war es so etwas wie dünnes Brot mit sehr speziell, aber lecker, schmeckendem Käse und Zwiebeln, gestern waren es Platanas – ich glaube das sind Kochbananen – in Streifen gebraten mit Tomaten. Um acht Uhr trommelt dann Yosimar mit einem Holzstück gegen ein Metallding, was soviel bedeutet dass der Unterricht startet.
Die ersten zwei Stunden des Tages verbringe ich mit Leyda. Sie ist meine Lehrerin für „conversational classes“, es geht also nur darum Hörverständnis zu entwickeln und selbst möglich viel zu sprechen. Leyda ist 33 Jahre jung und Mama von vier Kindern, drei Jungs und einem Mädchen. Sie hat mir direkt am ersten Tag vorgeschlagen, dass wir den Unterricht im Gehen machen und dabei durch San Juan spazieren. Das ist aus drei Gründen super:
1) Ich sitze sonst den ganzen Tag
2) Ich lerne das Dorf besser kennen
3) Man sieht auf dem Weg immer neue Themen, über die man sich unterhalten kann
Leyda ist die Tutorin von Isabela, von der ich im letzten Eintrag erzählt habe, und hat mir eigentlich das meiste über La Mariposa erzählt. Sie ist ein großer Fan, denn es sorgt dafür dass sie einen Job hat, Geld verdient und ihre Kinder zum Englischunterricht schicken kann.
Leyda hat mir außerdem erzählt, dass die Familien in Nicaragua traditionellerweise riesengroß sind. Ich kann mich nicht mehr an die genaue Zahl ihrer Tanten und Onkel erinnern, aber es war so etwas zwischen 10 – 20. Zehn Kinder in einer Familie war in der Generation ihrer Großeltern nichts ungewöhnliches, heutzutage wollen die Leute in Nicaragua aber eher 1-3 Kinder haben. Sie wollte eigentlich auch nur zwei, aber irgendwie hat das wohl nicht geklappt. Dieser Wechsel zu kleineren Familien hat auch damit zu tun, dass die Frauen in Nicaragua ganz lange nicht wussten, wie Verhütung funktioniert bzw. dass Verhütung lange als etwas Böses abgetan wurde. Seine Frau zu schlagen ist auch erst seit ein paar Jahren per Gesetz verboten. Mühsam nährt sich das Eichhörnchen, aber es geht voran. Stück für Stück.
Nach zwei Stunden Konversation geht es dann zurück zur Schule, die Grammatik ruft! Zwei Stunden Grammatik mit Verania haben angefangen mit einem Einstufungstest, um zu sehen welche Themen wir bearbeiten sollten. Es ist etwas frustrierend zu merken wie viel man vergessen hat, wenn man bedenkt dass das jetzt mein vierter Anlauf ist Spanisch zu lernen. Drei Mal spanische Grammatik vor und zurück gelernt in den letzten 12 Jahren, und der Einstufungstest in Runde vier ist trotzdem verhältnismäßig schlecht. Verania ist der Meinung dass wir Preterito und Imperfecto lernen sollten, die letzten zwei Tage aber auf jeden Fall das Augenmerkt auf den Subjuntivo lenken sollten. Verania weiß, dass ich danach Englisch unterrichten werde und ist der Meinung dass ich den Subjuntivo unbedingt brauchen werde – denn damit sagt man Dinge wie „Ich möchte dass du das machst“ oder „Ich verbiete dass du das machst“. Klingt logisch!
Nach zwei Stunden Grammatik gibt es dann Mittagessen – lernen macht sehr hungrig! Es gab bisher – Überraschung!! – nicht jeden Tag Reis mit Bohnen, sondern nur an Tag eins. Reis ist allerdings immer dabei, mal mit Salat, mal mit Gemüse, Kartoffelgerichten, Suppe oder Fleischersatzdingen. Aber eigentlich immer wirklich lecker.
Beim Rumhängen vor dem Frühstück oder in den Pausen lernt man dann die anderen Gäste hier kennen. Ein paar schlafen im Hotel, einige aber auch im sogenannten Homestay – also bei einheimischen Familien Zuhause. Da gibt es zum Beispiel Tracy aus Texas, die gestern hier ihren 63. Geburtstag gefeiert hat und in drei Wochen mit ihren Freunden des Schamanismusstudiums nach Peru reist um dort mit einheimischen Schamanen bestimmte Zeremonien abzuhalten. Oder Richard und Georgia aus Neuseeland, die auch beide ihren Job gekündigt haben (Beratung und irgendwas mit Finanzen) und jetzt erst mal Reisen…so drei bis fünf Jahre. Jenny und Nick sind auch aus den USA und haben hier Urlaub gemacht, sich dann überlegt dass sie gerne ein bisschen länger hier bleiben möchten und machen jetzt ein Praktikum bei La Mariposa. Dann gibt es noch eine Schweizer-Deutsch-Slowakische Familie, die auch alle Zelte abgebrochen hat und für ein Jahr reisen möchte. Etwas anderes Klientel als der typische Backpacker in Australien, aber ich denke das ist einfach so, wenn man in einem kleinen Dorf in den Tropen rumhängt. Mir gefällts!
Nach dem Mittagessen geht’s zurück zu Verania für eine Mischung aus Grammatik- und Übungsstunde. Verania ist auch in ihren Dreißigern und hat nur einen Sohn, was hier ziemlich unüblich ist. Sie sagt auch dass sie viel darauf angesprochen wird, weil jeder davon ausgeht dass sie auf jeden Fall noch mehr Kinder haben wird, was sie aber eigentlich gar nicht möchte. Sozialer Druck ist in Nicaragua auch ein großes Thema, sei es bei der Anzahl der Kinder, der Ausübung von Religion, etc. Sie hat eine extrem aufgeklärte Sicht auf die Welt, und es macht viel Spaß sich mit ihr zu unterhalten.
Für meine Spanisch sprechenden Freunde hier drei Dinge, die ich bei Verania über das Spanisch in Nicaragua gelernt habe:
- Die zweite Person Plural gibt es hier nicht. Also man weiß schon dass sie theoretisch existiert, aber sie wird nicht verwendet und in der Konjugation von Verben auch nicht benutzt. Möchte man eine Gruppe von Menschen ansprechen, benutzt man die 2.P.Pl mit „Ustedes“ oder „Ellos“
- „Andar“ ist das ultimative Wort für alles: Andar en el parque. Ayer anduve por el bosque. Los niños andan en el microbus. Ando con gripe. Ando feliz. Anduve con mi novio en Inglaterra. ANDAR KANN ALLES!
- Die Aussprache ist sehr anders. Während man in Spanien viel das gelispelte S benutzt, werden hier C, Z und S alle wie ein scharfes S ausgesprochen.
Ganz spannender Punkt: Alle Unterrichtsstunden hier sind one-on-one, das heißt immer ein Lehrer pro Schüler. Die „Klassenzimmer“ sind auf dem ganzen Gelände verteilt und können Hängematten sein, Stühle in einer Ecke, kleine offene Räume (immer mit dem obligatorischen White Board) oder Unterstände im Mariposa-Urwäldchen, wie zB auf dem Bild unten:
Sodele, das wars für heute. Kleiner Cliffhanger: Beim nächsten Mal werdet ihr Bekanntschaft schließen mit Nate, ein ausgewachsener Tropensturm, der das Leben hier zwei Tage lang ziemlich auf den Kopf gestellt hat.