Ein Date mit Ijen
Hellas zusammen,
wie ihr vielleicht festgestellt habt, bin ich mit den Blogeinträgen wesentlich langsamer unterwegs als noch am Anfang meiner Reise. Es ist ein gar nicht so einfacher Balance-Akt, den ich hier tanze, und die meisten von euch wissen ja um meine grazile Eleganz, wenn es darum geht Gleichgewicht zu halten. Im körperlichen wie im übertragenen Sinne. Bezogen auf den Blog geht es hauptsächlich um die Zeit, die man sich zum Schreiben nehmen muss. Und der zeitliche Aufwand ist nicht zu unterschätzen, hier geht es ums Stichpunkte sammeln, runter schreiben (was am meisten Zeit kostet), korrigieren (okay…nur wenn man Muße oder den Luxus von Eva als Lektorin hat), Bilder raussuchen, klein rechnen und posten. Dann ist es noch wichtig, dass man nicht nur Zeit, sondern auch Lust dazu hat. Ich hab mich ein paar mal hingesetzt und angefangen zu schreiben, obwohl ich keine Lust hatte, nur weil ich dachte ich müsste jetzt langsam noch mal was posten. Da kam nur eine schlecht geschriebene Aneinanderreihung von holprigen Satzkonstruktionen bei rum, die kein Großes und Ganzes ergeben haben. Auf der anderen Seite sollte man natürlich auch nicht allzu lange warten, denn je länger das Erlebte her ist, desto vager wird die Erinnerung, und desto schwieriger wird auch die farbenfrohe Beschreibung der Ereignisse. Ihr seht also, Balance.
Bei der Besteigung des Vulkans Ijen fällt es mir tatsächlich ganz und gar nicht schwer mich sehr lebhaft zurück zu erinnern, auch wenn es mittlerweile schon fast vier Wochen her ist. Denn ich kann behaupten, ganz ohne zu übertreiben, dass es eine der krassesten Erfahrungen war, die ich in meinem Leben bisher gemacht habe. Und ich habe schon ein bisschen was an verrücktem Zeug angestellt.
Wir sind also mit Bronto und dem Plüschmobil drei Stunden lang bis zum Vulkanaufstieg gefahren, bei unsere Ankunft war es etwa 3 Uhr morgens und stockdunkel. Bronto hat uns unserem Guide für den Aufstieg vorgestellt, der, ich dachte nicht dass das möglich wäre, noch weniger Englisch sprach als Bronto. Nämlich gar nichts. Kein einziges Wort. Nada. Und dazu auch leicht verwirrt wirkte. Wie üblich dachten wir uns, dass es schon irgendwie klappen würde, hat ja bisher immer irgendwie geklappt. Hätten wir vorher gewusst, was auf uns zukommen würde oder uns auch nur ein bisschen darüber informiert, was genau alles bei diesem Auf- und Abstieg so passiert, hätten wir an diesem Punkt vermutlich abgebrochen. Unsere völlige Ahnungslosigkeit, die sich, wie ihr vielleicht gemerkt hat, wie ein roter Faden durch unsere jetzige und alle vorherigen, gemeinsamen Reisen zieht, hat sich im nachhinein als Segen herausgestellt. Denn das Erlebnis würde ich wirklich, wirklich nicht missen wollen.
Der Start stand schon unter einem guten Stern. Nicht. Am Eingang des Aufstiegs ist unserem Guide aufgefallen, dass er unsere Eintrittskarten vergessen hat. Das heißt er ist dann noch mal runter gestapft, während wir am Eingang die Scharen von asiatischen Touristen beobachten durften, die an uns vorbei ihren Weg den Vulkan hoch gestartet haben. Nochmal als kleine Erinnerung für euch: Der Aufstieg sollte etwa eine halbe Stunde dauern, dann würde man blaue Lava sehen, dann den Sonnenaufgang beobachten, und dann wieder runterlaufen. Der Vulkan ist 2368 Meter hoch und Teil einer Vulkanregion, hauptsächlich dominiert von Ijen selbst und den Vulkanen Merapi (2800m) und Raung (3332m). Gunung Ijen ist javanesisch und bedeutet „Einsamer Berg“ – und tatsächlich ist das bisher die am wenigsten überlaufene Attraktion Indonesiens gewesen. Dass wir in der Nebensaison unterwegs sind hilft mit Sicherheit auch.
Während wir so da standen und beim Eingang neben ein paar der anderen Guides gewartet haben, ist uns irgendwann auch die Absurdität der Situation bewusst geworden. Wir stehen mitten in der Nacht im Dunkeln im Nirgendwo von Java, ohne Guide, ohne Auto, ohne Geld, ohne Ausweis, neben einem halben Duzend grinsender, in Palinenserschals vermummter einheimischer Männer. Die ganzen asiatischen Vollzeittouristen waren schon lange an uns vorbeigestiefelt, und es wurde immer ruhiger.
Irgendwann, eine gefühlte Ewigkeit später, kam unser Guide mit unseren Tickets zurück, und wir konnten unseren Aufstieg starten. Gottseidank hatte Tanja ihre Super-Taschenlampe mit, denn der Weg lag in völliger Dunkelheit, es gab einiges an Stolpersteinen, und meine eigene Taschenlampe hatte einen Leuchtradius von ungefähr 12 cm. Super, wenn man abends im Bett noch lesen möchte, weniger gut wenn man im Dunkeln einen Vulkan hochläuft. Der Weg war anstrengend, wirklich, wirklich anstrengend – ich konnte gut merken, dass ich die letzten Monate sportlich nicht viel unterwegs gewesen bin. Die Steigung variierte von einfachen 20° zu muskelzehrenden 45° auf größtenteils matschigen und rutschigen Wegen, und so mussten wir ab und an mal ein kleines Päuschen einlegen. Trotz unseres späten Starts und der vereinzelten Pausen haben wir innerhalb der 3km bis zur ersten Wegmarke so ziemlich alle anderen Touristen überholt. Und ich dachte immer ich wäre eine Wander-Lusche. Der Aufstieg bis dahin hatte etwa eine Stunde gedauert, nicht die angekündigte halbe Stunde. Wir sollten im Laufe der nächsten Wochen noch feststellen, dass man sich in Indonesien die Frage nach Zeitangaben auch sparen kann – die stimmt grundsätzlich nie und ist in der Realität immer mindestens doppelt so hoch. Am Krater angekommen wartete dann die große Überraschung auf uns: Um die blaue Lava zu sehen muss man in den Krater HINEIN laufen, dorthin wo von den Einheimischen auch Schwefel abgebaut wird. Übrigens der gesundheitsschädlichste, gefährlichste und schlecht bezahlteste Job in Indonesien…mehr dazu später.
Retrospektiv bestand unser Ausflug aus drei verschiedenen Teilen: Anstrengend, angsteinflößend und atemberaubend. Der Weg bis zum Krater war anstrengend, der 500m Abstieg hinein in das Ungeheuer war der angsteinflößende Part. Das fing schon damit an, dass unser Guide kurz vor dem Abstieg jedem von uns eine Gasmaske in die Hand gedrückt hat, die aussah als wäre sie nach dem ersten Weltkrieg im Ausverkauf erstanden worden. Gegen die Schwefeldämpfe. Ah ja.
Der Weg den Krater hinunter war eigentlich kein Weg, sondern vielmehr ein 45° steiler, loser Geröllpfad. An den breitesten Stellen vielleicht einen Meter breit, an den schmalen Stellen maximal einen Fuß breit. Unter unseren Füßen sind die Steine hin- und hergerollt und ab und an danach auch mal neben uns in die Tiefe gefallen. Wie tief, konnten wir nicht sehen, denn es war immer noch stockdunkel. Und immer noch hatten wir keine ausreichenden Taschenlampen, um ganz genau zu sehen, wo wir denn hintreten. Im Nachhinein war die Dunkelheit ein Segen, denn als wir auf dem Rückweg vom Sonnenaufgang noch mal in die Richtung des Kraters geschaut haben, wurde uns erst richtig bewusst wie gefährlich das eigentlich war, was wir da gemacht hatten. Unnötig zu erwähnen, dass es weder Handlauf noch Zaun gab, an dem man sich festhalten konnte, oder der einen vom Herunterfallen hätte schützen können. Nur ein steiler, unfreundlicher Steinabhang. Dieser Abstieg, von dem wir ursprünglich nicht mal wussten dass er Teil der Tour ist, war ein ganz eigenartiges Erlebnis, vielleicht sogar ein bisschen surreal. Mit Tanja und Eva vor und hinter mir, beide mit diesen grotesken, unheimlichen Gasmasken im Gesicht, alle in völliger Konzentration auf den Weg vor sich, die aus dem Krater aufsteigenden Schwefeldämpfe, die der ganzen Szenerie etwas Mordor-artiges verliehen….ja, surreal trifft es schon. Mit einem kühlen Melon Cooler auf der Terrasse in Kleigladbach oder Hamburg hätte man nur den Kopf geschüttelt und sich überlegt, einfach oben zu warten, statt sich nach kilometerlangem Wandern mit abnehmender Konzentration noch an den Abhängen eines schwefelverseuchten Kraters herunterzuhangeln. Aber mitten in der Nacht, mitten in Indonesien, nach 1,5 Stunden steilem Bergaufgehen und umgeben von Menschen die kein Wort Englisch sprechen und einen immer nur sehr fragend anschauen, ist man so durch, so müde und apathisch, dass man einfach immer nur weiter geht. Und glaubt es oder nicht, wir waren letztlich alle sehr glücklich darüber, dass wir nicht umgekehrt sind oder einfach oben gewartet haben.
Denn endlich unten angekommen haben wir nicht nur die blaue Lava entdeckt, die, auch wenn wir nur sehr wenig davon gesehen haben, den surrealen Charakter dieses Ausflugs nur noch verstärkt hat, sondern standen auch inmitten von einem dutzend Minenarbeiter. Immer mal wieder kam uns eine riesige Schwefelwolke entgegen und wir wurden von unserem Guide in die andere Ecke des Kraters gescheucht. Den Rest der Zeit konnten wir beobachten, wie die Arbeiter an den Öfen standen, die kochend heißen Schwefel hervorbrachten, oder den Schwefel abtransportiert haben. Und wieder schießt einem der Vergleich mit Mordor in den Kopf, und man wartet nur darauf dass einem plötzlich ein Uruk-Hai aus dem Nebel der Schwefelwolke entgegenspringt. Ist aber nicht passiert. Glück für uns.
Schwefel, das wusste ich vorher auch nicht, wird hauptsächlich für Medizin, Düngemittel und Kosmetika abgebaut. Wenn man nach diesem beschwerlichen Abstieg in die Schwefel-Miene sieht, wie kleinen indonesischen Männer mit 80kg schweren Körben voller Schwefel den Geröllpfad hoch- und runtertänzeln, während sie keine Gasmaske, sondern einfach nur einen einfachen Baumwollschal vor dem Gesicht haben, dann kommt man sich vor wie größte Lusche auf Gottes grüner Wiese. Das ist einfach der Wahnsinn, was diese Männer schaffen. Und das auch noch zu einem absoluter Hungerlohn von 0,05€ pro Kilogramm. Und jetzt kommen wir Millenials mit unseren Sehnsüchten und Träumen nach Selbstverwirklichung, der Vereinbarung von Familie und Karriere und dem kleinen Hund in einer Stadtrandwohnung. WUMMS, da kommt wieder der erbarmungslose Realitätshammer, der einem auf Reisen so häufig begegnet und lässt einen doch kurz innehalten und wertschätzen, was für ein Glück man eigentlich hat und in was für einer privilegierten Welt wir aufgewachsen sind und immer noch leben. Für mich neben der Wertschätzung von Andersartigkeit eines der wertvollsten Dinge, die man als Reisender lernen kann. Unser Guide, jetzt völlig in seinem Element, hat zu seiner, unserer und der Belustigung der Minenarbeiter aus dem heißen Schwefel ein paar Figuren gegossen und uns als stinkendes, kleines Souvenir mitgegeben. Während er uns die zwei Stunden vorher praktisch völlig ignoriert hat, war das doch eine nette Geste.
Nachdem wir den Krater ausreichend erkundet hatten, ging es den Weg des Horrors wieder hoch. „Glücklicherweise“ immer noch im Stockdunkeln, allerdings mit einer neuen Herausforderung, quasi Level 2: Menschen, die einem entgegenkommen. Denn anders als anfänglich vermutet, hat es sich bei unserem Abstieg nicht um eine Einbahnstraße gehandelt – wir waren einfach nur sehr früh dran. Und während wir den Weg jetzt wieder hochklettern mussten, kamen uns am laufenden Band Gruppen entgegen, die den Weg nach unten antraten. Das heißt zu unserer praktisch nicht mehr vorhanden Konzentration, dem Dunkel und den Muskelschmerzen in den Beinen (ja ja, ich bin eine Mimi), kam jetzt auch noch Gegenverkehr. Tolle Karte. Aber wie immer haben wir auch das geschafft, und standen eine Dreiviertelstunde später wieder am oberen Rand des Kraters und konnten uns die Gasmasken-Ungetüme von den Gesichtern reißen. Endlich!
Nächster halt: Sonnenaufgang. So langsam kündigte sich auch ein bisschen Helligkeit an, sodass man die Umrisse von Berg und Weg erkennen konnte. Der Sonnenaufgangs-Aussichtpunkt war aber nicht am Rande des Kraters, sondern noch weiter den Berg hinauf. Wir waren auch wirklich lang keinen Berg mehr hochgestiefelt. Also weiter geht’s: Hej ho, hej ho, wir sind vergnügt und froh.
Der Weg zum Aussichtspunkt war allerdings kaum bergauf und wenig beschwerlich – eine Wohltat für unsere Muskeln und unsere Konzentrationsfähigkeit. Mich wundert bis heute, dass sich an diesem Tag niemand von uns böse hingelegt hat. Aber irgendwie wächst man ja doch immer ein bisschen über sich hinaus. Für mich war tatsächlich auch der nächste Wanderabschnitt sehr spannend, denn in dem Zwielicht der aufgehenden Sonne wirkte der Weg wie in einem verwunschenen Wald. Mit knorrigen, abgestorbenen Bäumen und Ästen, hohen Büschen und verwinkelten Pfaden wirkte die Umgebung wie aus einem altdeutschen Märchen.
Und während ich so darüber nachdachte, ob nicht doch gleich ein Kobold aus dem Busch gehüpft kommen würde (zu viel Schwefel?) und wir uns ab und an gegenseitig an Hysterie grenzende Witzeleien über unseren Erschöpfungszustand zuwarfen, hörte ich plötzlich jemanden neben uns auf Deutsch mit uns sprechen. Und da kam doch tatsächlich, kein Kobold, aber ein Mensch aus dem Gebüsch gelaufen. Maxime: Ein Belgier, der den ganzen Weg beeindruckender weise auf eigene Faust erkundet hatte.
Danach waren wir auch schon fast beim Plateau angekommen. Und hier begann dann der atemberaubende Teil des Ausflugs. Und das ist außerordentlich schwer in Worte zu fassen, weshalb ich doch lieber Bilder sprechen lassen möchte. Schaut euch diese Bilder an, genießt den Ausblick und stellt euch vor dass das Ganze in Echt noch tausendmal schöner und beeindruckender war – wie das bei Laienfotos ja oft der Fall ist. Vor allem, weil sich alle paar Minute die Lichtverhältnisse geändert haben und jeder Moment für sich so wunderschön war. Und ja, ich durfte danach 5000 Bilder von einem grauen Berg mit blauem See, die alle gleich aussahen, sortieren. Hat sich gelohnt.
Nach dem Sonnenaufgang ging es dann zum eher unspektakulären Abstieg, bei dem wir zumindest ein paar schöne Bilder von unserer Aussicht im Hellen machen konnten. Unten angekommen hat uns Bronto schon gähnend erwartet, und nach einem herzhaften Frühstück an einem der Stände bei Parkplatz haben wir uns von unserem Guide, Maxime und dem Vulkan Ijen verabschiedet. Nächster Stop: Homestay und der Vulkan Bromo.
Verglichen mit unserer Erfahrung beim Vulkan Ijen, scheint Bromo wie ein eher insignifikantes Erlebnis. Der Homestay war angenehm und auch der Ausflug zum Bromo war schön, in unserem kanarienvogelgelben Jeep.
Ein spannender Ausblick bei aufgehender Sonne – von der man aber leider aufgrund der dichten Wolkendecke nicht viel sehen konnte. Ein paar Berge drum herum, schöne Aussicht und GAR kein Wandern zum Aussichtspunkt. Nett halt, wie der gemeine Deutsche sagen würde. Das eigentliche Highlight des Ausflugs waren tatsächlich wir. Und zwar für jeden der dreihundert asiatischen Touristen, die sich mit uns auf die Plattform gequetscht haben. Ich glaube ich übertreibe nicht, wenn ich sage dass es mindestens genauso viele Fotos von Tanja und Eva gibt, wie vom Sonnenaufgang. Ich habe mich in der Regel dezent weggeschlichen und ein Foto von der begeisterten Fanbase gemacht. Ich bin eher so der Typ für hinter die Bühne, gerade wenn es um begeisterte indonesischen Siebtklässler geht.
Und hiermit verlasse ich euch schon wieder. Als nächstes berichte ich euch von der Zugfahrt nach Yogyakarta und unseren Erlebnissen in der „Seele von Indonesien“.
Stay tuned,
Lisbeth.
P.S.: Hier ein Bild von unserer zweiten Homestay-Familie. Kein Wort Englisch, aber viel herzlichen Lächeln und Winken!